»Raub-Talkshow«
Im Rahmen von Seminaren und Symposien anläßlich der »C '85« konnten ei einer Talkshow zum Thema Software-Klau Betroffene mit Rechtsexperten diskutieren.
Die Teilnehmer dieser Talkshow setzten sich aus dem Münchener Anwalt Freiherr von Grafenreuth, dem Kölner Staatsanwalt Wolf, dem Leiter der Rechtsabteilung bei Commodore, Kröger, dem stellvertretenden Abteilungsleiter beim Kölner Jugendamt Greese und dem Vertreter der Gegenseite Wernery, vom Hamburger Chaos Computer Club (CCC), zusammen. Moderator war Richard Kerler, Redaktionsdirektor beim Vogel-Verlag.
Nach den Einleitungssätzen wurde die Frage gestellt, warum denn so viele jugendliche »Kopierer« als Verbrecher verfolgt würden.
von Grafenreuth: »Es ist sehr schwierig, aufgrund von bekannt gewordenen Adressen von vorneherein festzustellen, ob es sich bei dieser Person um einen Jugendlichen, einen erwachsenen Computerfreak oder gar um eine GmbH handelt. Es hat sich gezeigt, daß das Gros der Raubkopierer zwischen 16 und 26 Jahre alt ist. Der jüngste in einem mir bekannt gewordenen Fall ist erst elf Jahre alt gewesen. Diese Kinder können allerdings weder strafrechtlich noch zivilrechtlich verfolgt werden. Diese Fälle müßte man dann dem Jugendamt übergeben. Das Mindestalter, um strafrechtlich vorgehen zu können, liegt bei 14 Jahren. Übeltäter, die dieses Alter erreicht haben, erhalten in der Regel eine Ermahnung oder eine Unterlassungserklärung zugeschickt. In bestimmten Fällen wird eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der man dann Disketten und Computer beschlagnahmt. Meistens werden die Verfahren gegen Jugendliche aber vom Staatsanwalt eingestellt. Nur selten kommt es zu einer Anklageerhebung.«
Die Kinder bis 14 Jahre landen also beim Jugendamt, dessen Vertreter dann mit den Eltern Gespräche führen würden.
Greese: »Raubkopieren ist keine Frage der Erziehung sondern der Versuchung.«
Den Einwand, Raubkopieren sei eine Folge der überteuerten Programme, beantwortete Herr Kröger.
Kröger: »Die Entwicklungskosten für gute Programme sind sehr hoch. Dazu kämen oft noch erhebliche Lizenzgebühren, die Honorare für die Autoren, die Gewinnspannen für Händler und Hersteller.«
Bei der Bitte um konkrete Aufschlüsselung der Kosten bei einem Programm, das den Käufer 100 Mark kostet, konnte Kröger nur pauschale Antworten geben.
Kröger: »Bei einem Verkaufspreis von 100 Mark entfallen in der Regel 20 bis 40% auf die Handelsspanne, 10% gehen für das unternehmerische Risiko drauf, die Autoren erhalten in etwa 5 bis 10 Prozent pro Stück, der Gewinn für den Hersteller beträgt etwa 10%, dazu kommen noch die Entwicklungs- und Herstellungskosten in Höhe von 30 bis 55%. Diese Aussage muß man aber verallgemeinern. So kann die Kalkulationsgrundlage einzelner Unternehmen verschieden sein, und auch die Autorenhonorare können Pauschalbeträge beinhalten.«
Auf die Frage, wann denn nun Kopieren erlaubt sei, gab Herr Wolf folgende, erstaunliche Antwort.
Wolf: »Das Kopieren von Programmen für den persönlichen Gebrauch ist erlaubt. Es ist dabei unerheblich, ob man sich eine oder zehn Sicherheitskopien seines Originalprogrammes zieht. Die Weiterverbreitung dieser Kopien ist allerdings nicht erlaubt. Entfernt man einen angebrachten Kopierschutz, so ist dies ebenfalls zulässig, sofern die Kopien für den rein persönlichen Gebrauch bestimmt sind.«
Herr Wernery brachte das Patentrecht ins Spiel.
Wernery: »Mir ist bekannt, daß man ein durch ein Patent geschütztes Verfahren für den eigenen, privaten nichtgewerblichen Bereich nachbauen und verwenden darf. Warum sollte das also nicht auch bei den Kopien von Software der Fall sein?«
Daraufhin brachte Herr Kröger folgenden Einwand.
Kröger: »Ich weiß, daß zur Zeit etwa 1300 Verfahren für widerrechtliches Kopieren und Verbreiten anhängig sind. Geht man davon aus, daß jeder dieser Raubkopierer durchschnittlich 150 Programme in Umlauf gebracht hat, bei einem mittleren Wert von etwa 100 Mark pro Programm, so kann man sich leicht ausrechnen, welcher Schaden dadurch entstanden ist. Es geht im wesentlichen darum, die Spreu vom Weizen zu trennen, also die gewerblichen Raubkopierer von den einfachen Kopierern zu trennen. So ist es beispielsweise auch im Urheberrechtsgesetz erlaubt, sich ein Buch von der Bibliothek auszuleihen und vollständig oder teilweise, jedoch nur für den rein privaten Gebrauch, zu kopieren.«
Wolf: »Dies ist auch die Praxis der Staatsanwaltschaft, zumindest in Köln. Verfahren gegen Jugendliche, die nur kopieren, um ihre Sammlung zu vervollständigen, werden in der Regel eingestellt. Es soll keine Kriminalisierung dieser Jugendlichen vorgenommen werden. Auf der anderen Seite sieht man nicht immer, wer dahintersteckt.«
Um derartige Unsicherheiten zu umgehen, wurde eine »Gema-Lösung« auch für den Software-Bereich vorgeschlagen.
Wolf: »Eine Gema-Lösung wäre meiner Ansicht nach ein sinnvoller Ansatz. Die Software-Häuser wollen sich aber nicht abspeisen lassen.«
Kröger: »Diese Lösung fände durchaus den Zuspruch der Industrie. Vorstellbar wäre eine Verwertungsgesellschaft, die eine Schutzgebühr auf Leerdisketten erhebt und eine Abgabe an die Software-Firmen leistet.«
von Grafenreuth: »Auch nach meiner Meinung blockt die Industrie nicht. Dennoch sehe ich in einer solchen Verwertungsgesellschaft nicht die ideale Lösung. Was geschieht mit den Firmen, die nicht im Bundesverband der Software-Hersteller integriert sind? Probleme in dieser Richtung sind also noch genug vorhanden.«
Eine Zwischenfrage aus dem Publikum beschäftigte sich mit dem Problem der qualitativ mangelhaften Produkte einer bekannten Düsseldorfer Firma.
von Grafenreuth: »Wenn zugesicherte Eigenschaften von Programmen nicht vorhanden sind, so ist das ein zivilrechtliches Problem. Man hat die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Dennoch hat eine Klage wenig Sinn, da der Nachweis geführt werden muß, daß bestimmte zugesicherte Eigenschaften nicht erfüllt werden. Das ist auf seiten des Klägers mit oft nicht unerheblichen Kosten verbunden.«
Die Diskussion wurde noch einmal auf den Kernpunkt zurückgeführt, nämlich der Problematik, wann Kopien erlaubt sind und wann nicht.
Wolf: »Das Kopieren von Programmen ist erlaubt. Auch die Weitergabe von Kopien an enge Freunde ist nicht verboten (das ist vom Urheberrechtsgesetz abgedeckt). Es gibt allerdings unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema. Das ist oft Ländersache. Nicht erlaubt ist via Anzeige in Computerzeitschriften Tauschpartner oder Käufer für bestimmte Programme zu suchen.«
von Grafenreuth: »Die Verbreitung von Kopien im engen persönlichen Kreis ist durch das Gesetz abgedeckt. Die Weitergabe an gute Freunde: ja. An Bekannte zum Beispiel in der Schulklasse: nein.«
Die Frage eines ungarischen Kollegen, ob ein endgültiger Kopierschutz in Sicht sei, ergab verschiedene Reaktionen.
Wernery: »Mir ist bis jetzt noch kein Kopierschutz bekannt, der nicht geknackt worden wäre.«
Kröger: »Die momentanen Kopierschutzmethoden sind sicherlich noch im Anfangsstadium. Dennoch wird die Zukunft möglicherweise Schutzmethoden hervorbringen, die nicht so leicht knackbar sind.«
Ein Zuhörer aus dem Publikum brachte noch einmal die Diskriminierung eines »unschuldig Verfolgten« in der Gesellschaft zur Diskussion.
Greese: »Die Jugendlichen (Kinder) sind durch die überraschende Verfolgung am Boden zerstört. Die Eltern werden durch die Aktivitäten ihrer Kinder überrascht. In der Umgebung einer an sich intakten Familie taucht plötzlich der Faktor der Kriminalisierung auf. Freunde und Bekannte distanzieren sich. Die Jugendlichen erfahren eine völlige Desorientierung. Man sollte alles daran setzen, eine Desorientierung der Jugendlichen zu vermeiden. Eine Lösung erscheint daher wirklich die Verwertungsgesellschaft zu sein.«
Wolf: »Als Staatsanwalt hat man sämtliche Seiten eines Falles zu berücksichtigen, sowohl die Raubkopierer als auch die Software-Hersteller. Die Interessen beider Seiten müssen abgewogen werden. Eine Hausdurchsuchung ist sicherlich ein wesentlicher Einschnitt im Leben einer intakten Familie. Man wird durch dieses Faktum in der Umgebung abgestempelt. Sicherlich ist eine Hausdurchsuchung nicht immer notwendig, aber wie soll man sonst die schwarzen von den weißen Schafen trennen? Die Staatsanwaltschaft sucht nach neuen Möglichkeiten.«
Ein Vertreter von Microsoft (Wordstar) äußerte die Ansicht, daß die Medien die Raubkopierszene zu sehr aufbauschen würden. Auch mit der Weitergabe von Kopien an gute Freunde zeigte er sich nicht einverstanden. Das würde dann nach dem Ostfriesenprinzip funktionieren: Ich kenne da einen, der hat einen Bekannten, dessen Freund …
Ein anderer Einwand befaßte sich mit der Problematik des Anteils von Fremdteilen in eigenen Programmen.
Freiherr von Grafenreuth verglich diesen Sachverhalt mit der Literatur.
von Grafenreuth: »Wenn Sie in einem bestimmten Werk von Hemmingway den Schwertfisch durch Walfisch ersetzen, können Sie sicherlich noch keine urheberrechtlichen Ansprüche auf das neue »Werk« erheben. Ebenso verhält es sich bei der kompletten Übernahme von ganzen Kapiteln (siehe Anmerkung der Redaktion)«.
Als nächstes wurden die hardwarezerstörenden Schutzmaßnahmen angesprochen.
Wolf: »Die rechtliche Seite dieser Vorgehensweise wird noch geprüft. Ich sehe allerdings keine Bedenken, warum das nicht erlaubt sein sollte.«
Kröger: »Ich möchte hier noch einmal betonen, daß derartige Diskussionen in der Öffentlichkeit und in den Medien hoffentlich dazu beitragen, ein bestimmtes Unrechtsbewußtsein in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Dies ist schon allein deshalb notwendig, um den harten Kern der Geschäftemacher von den Gelegenheitskopierern zu trennen, die mehr oder weniger aus Versehen in diesen Dunstkreis gelangt sind.«
Zum Schluß kam noch einmal die zeitliche Vorgehensweise bei der Verfolgung von Raubkopierern zur Sprache.
von Grafenreuth: »Man muß hierbei zwischen drei Kategorien unterscheiden. Zum einen sind dies professionelle Abmahnfirmen, wie der Fall R + S Software (vorgestellt in der Ausgabe 5/85, Seite 8 vom 64'er; Anm. der Red.), dann Abmahnungen von Computerläden und Mitbewerbern, die in der Regel nicht autorisiert sind, derartige Abmahnungen an einzelne Personen zu schicken. Mitbewerber haben keinen Anspruch auf Urheberrecht. Die dritte Kategorie bildet die Firma, welche das wirkliche Vertriebsrecht des Programmes hat. Hier muß man selbst entscheiden, ob man die Unterlassungserklärung unterschreibt oder nicht.«
Info: Bestimmte mathematische Verfahren und Lösungsansätze (Algorithmen) können nicht urheberrechtlich geschützt werden. So ist es beispielsweise erlaubt, die verschiedenen Sortieralgorithmen wie Quicksort, Shellsort oder Straight Insertion in eigenen Programmen zu verwenden. Wollen Sie ein Programm von einem Computer auf einen anderen übertragen, oder passen lediglich die Drucker- und Ausgaberoutinen Ihren eigenen Verhältnissen an, so erwerben Sie keine Rechte an diesen neuen Programmen. Sie sollten daher die Quellenangabe des ursprünglichen Autors mit in das »neue« Programm übernehmen. Dies entspricht auch den ethischen und moralischen Gepflogenheiten fairer Programmierer. Auf jeden Fall sollte im Falle einer Veröffentlichung oder kommerziellen Nutzung des eigenen Programms mit Fremdanteilen vorher die Zustimmung des Verlages oder des Autors eingeholt werden. Übersteigen die Veränderungen und Verbesserungen am ursprünglichen Programm mehr als 30 bis 40 Prozent, so kann dieses Programm als eigene Entwicklung angesehen werden. Doch auch hier sollte fairerweise wieder die Quellenangabe Bestandteil zumindest in Rem- und Print-Zeilen sein.