The Music System — Zwei auf einen Schlag
»The Music System« ist ein neues Musikprogramm, das es in sich hat. Denn es steuert sowohl ein Midi-Keyboard als auch den Sound-Chip an und ist extrem benutzerfreundlich.

The Music System befriedigt als erste Musiksoftware zwei verschiedene Anwenderkreise. Die mittlerweile riesige Schar von Midi-Musikern und die Computerfreaks, die lediglich den SID-Chip zum Tönen bringen wollen. Was man noch damit machen kann: Noten lernen, Songs komponieren, spielen, speichern und automatisch wiedergeben — oder in Notenschrift umwandeln und ausdrucken.
Am Anfang steht jedoch die Lektüre der Bedienungsanleitung. Man sollte sich möglichst gleich mehrere Abende dafür reservieren. Mit ihren 85 A4-Seiten schlägt sie wirklich alle Rekorde, nicht nur ihres Umfangs wegen. Sie ist außerdem sehr übersichtlich aufgebaut, ausführlich bebildert und ins Deutsche übersetzt worden!
»The Music System« ist anders als alle anderen Musikprogramme für den Commodore 64. Bereits nach dem Laden weht eine erstaunlich frische Brise. Die sechs Optionen des Hauptmenüs sind nicht beziffert und mit Namen versehen, sondern durch leichtverständliche Bildsymbole dargestellt.
Mit der SPACE-Taste wählt man die einzelnen Optionen an, RETURN gedrückt — los geht’s.
Alle Module, so werden die sechs verschiedenen Programmebenen genannt, sind sehr übersichtlich aufgebaut. Man hat sich wirklich Mühe mit der optischen Gestaltung gegeben und viel Liebe ins Detail investiert. So tickt und zappelt zum Beispiel ständig ein ganz kleines Metronom in einer Ecke am Bildschirm. Auch alle anderen Parameter werden mit Hilfe von Symbolen am Bildschirm dargestellt. Da gibt es den Lautsprecher zur Lautstärkeneinstellung, die Klaviatur zur Anzeige der gespielten Töne, waagrechte Balken, die die Belegung der Melodie-Aufnahmespuren darstellen und, natürlich auch nur symbolisch, den Bedienteil eines kleinen Kassettenrecorders mit einzelnen »Tasten« für Play, Fast Forward, Fast Back und Record, mit denen man das Abspielen gespeicherter Melodien regelt. Ein Briefumschlag (engl.: envelope) symbolisiert schließlich die angewählte Hüllkurve.
Doch das ist noch nicht alles an Bedienkomfort, was das Music System zu bieten hat. Nur wenige Privatleute können sich einen Apple Macintosh leisten. Doch mit diesem Programm hat man, trotz C 64, das Gefühl, mit einem zu arbeiten. Macintosh-Software wurde nicht zuletzt dank der sogenannten Pull-Down-Menütechnik zum Synonym für maximalen Bedienkomfort. Diese Fenstertechnik haben die Music System-Programmierer abgeguckt.
Beinahe wie ein Macintosh
Was dem Mac die Maus, sind hier die vier Funktionstasten. Mit ihnen wählt man die vier Pull-Down-Menüs an. Sie rollen wie Rollos am Bildschirm herunter. Das vorige Bild bleibt im Hintergrund erhalten (Bild 1). Die im Pull-Down-Menü enthaltenen Optionen stehen zur Auswahl parat. Hat man sich entschieden, wird der Befehl ausgeführt, der Rollo rollt wieder zurück, der Bildschirm ist wieder wie zuvor.

Am schnellsten ist man mit dem Klavier-Modus vertraut. Die obersten zwei Tastenreihen des Commodore 64 stellen die Klaviatur dar. Man kann jedoch nicht wie auf einem richtigen Klavier mehrere Tasten gleichzeitig drücken, also Akkorde spielen, sondern jeweils nur eine. Dafür wird diese einstimmige Melodie auf Wunsch sofort gespeichert. Während das Music System sie abspielt, kann man eine weitere dazuspielen. Sie wird ebenfalls gespeichert. Zum Schluß spielt man dann noch eine dritte Stimme zu den zwei bereits aufgenommenen dazu. So ist schnell ein dreistimmiges Liedchen im Kasten.
Wer Noten liebt, schaltet in den sogenannten VMW-Mode. Während des Abspielens läuft jetzt die Melodie in Notenschreibweise über den Bildschirm. Die grafische Darstellung der Noten ist für Commodore 64-Verhältnisse erstaunlich gut.
Für angehende Komponisten ist der Noteneditor ein hervorragender Tummelplatz. Was dem Komponist Papier und Feder, sind hier Bildschirm und alphanumerische Tasten. Jedem Musiksymbol entspricht ein Befehl. Sämtliche Vorzeichen, verschiedene Taktarten und Tempis, Kreuz, Be und Auflösung, alle Pausensymbole, Wiederholungszeichen, Bindebögen, alles ist vorhanden. Selbst die Notenhälse kann man wahlweise nach oben beziehungsweise unten legen. Die Taktstriche zieht das Music-System auf Wunsch automatisch an der richtigen Stelle. Noten lassen sich jederzeit auch nachträglich einfügen beziehungsweise löschen. Drei Melodiestimmen kann man komponieren, mehr schafft der SID-Chip nicht. In den beiden Notenzeilen am Bildschirm erscheint allerdings jeweils nur eine Stimme. Man kann zwar zwischen den Stimmen umschalten, aber nicht alle drei in ein Notensystem notieren, beziehungsweise drei Notensysteme gleichzeitig darstellen. Schade, denn sonst wäre das Music System wirklich absolut perfekt.
Besonders interessant ist die Makro-Funktion. Hier lassen sich beliebige Abschnitte der Komposition markieren und gesondert behandeln. Die Möglichkeiten sind sehr vielfältig. So kann man etwa einen Refrain automatisch als Ganzes transponieren, mit anderem Klang oder Lautstärke als den restlichen Song versehen, als Ganzes löschen, an andere Stellen des Liedes kopieren, zyklisch abspielen oder getrennt vom restlichen Lied entweder auf einer Art Notizzettel, dem Note Pad, zwischenspeichern oder ganz auf Diskette ablegen. All diese Optionen erreicht man mit den beiden Pull-Down-Menüs »Values« beziehungsweise »Commands«. Die beiden anderen Pull-Down-Menüs heißen »Info« und »File«. Bei Info werden Informationen über die aktuellen Daten, wie Anzahl der gespeicherten Töne oder angewählter Klang, ausgegeben. Mit »File« greift man auf die Diskette zu, zeigt Directories an und kann durch Files umbenennen.
Unglaubliche Klänge aus dem SID-Chip
Ins Wunderland der SID-Klänge führt das Synthesizer-Modul des Music Systems. Es holt so ziemlich alles aus dem kleinen Chip, was geht. Man kann die drei Oszillatoren mit drei ganz verschiedenen klingenden Instrumentensounds versehen. Separate Hüllkurven und Filtereinstellung für jede Stimme machen das möglich. Hervorragend auch hier — die grafische Darstellung. So wird die jeweils eingestellte Hüllkurve nicht nur mit numerischen Parametern, sondern auch gleich grafisch am Bildschirm gezeichnet (Bild 2). Auf diese Weise kapiert man auch als Anfänger sofort, was langes Attack oder kurzes Decay bedeutet. Dreieck, Sägezahn, Rechteck und Rauschgenerator — alles ist da. Zwei langsam schwingende Modulationsoszillatoren (LFOs) gestalten den Sound noch lebendiger. Sie verändern die Oszillator-, Filter- und Pulsweiteneinstellung periodisch, entweder kontinuierlich (Dreieck) oder treppenförmig. Frequenz und genaues Aussehen dieser Modulationskurven sind variabel einstellbar. So realisiert man Geigenvibrato und den Wah-Wah-Effekt der Jimmy Hendrix-Gitarre, Flanging und viele weitere Sound-Effekte. Auch der Filter meistert mit Tief-, Hoch-, Bandpaß und Notch, variabler Frequenz und Resonanz so ziemlich alles, was man auch von einem guten Filter in einem professionellen Synthesizer erwarten würde.

Alle Parameter des Music System Synthesizers zu beschreiben, würde ein Großteil dieser 64'er-Ausgabe füllen. Man benötigt einige Tage, bis man ihn perfekt beherrscht. Aber keine Angst, man kann zunächst auch mit den bereits fertig programmierten und mitgelieferten Sounds des Music Systems spielen.
Nichts gegen Soundchips, aber für Musikerohren sind deren Klänge meist mehr schlecht als recht. Sie nutzen den Computer deshalb nicht zur Klangerzeugung, sondern nur zur Steuerung der sehr viel besser klingenden professionellen Synthesizer. Das Midi-System gestattet bis zu 16 midikompatible Synthesizer, Elektronikschlagzeuge, ja sogar Effektgeräte wie Hall und Echo, beziehungsweise Verstärker, zentral vom Computer mit unterschiedlichen Melodien zu versorgen. Bereits für 1 000 Mark bekommt man heute einen professionellen Midisynthesizer mit pefektem Klang. Neben dem Synthesizer ist noch ein Midi-Interface nötig, das man in der einfachsten Ausführung für zirka 99 Mark bekommt. Man erhält sie in jedem Musikgeschäft. Leider sind die Interfaces nicht zu jeder Software kompatibel. Das Music System ist auf zwei Interfacetypen adaptiert, die in Deutschland nur schwer zu bekommen sind: das Siel-Interface und das Interface von Passport-Design. Das sollte man ändern!
Im Midi-Modus des Music Systems stehen sechs Aufnahmespuren zur Verfügung. Zwecks Kompatibilität mit den SID-Files des Music-Systems sind die einzelnen Midi-Aufnahmespuren nicht beliebig polyphon bespielbar, wie das normalerweise bei Midisoftware üblich ist, sondern nur monophon.
Zum Einspielen der Melodien benützt man im Midi-Modus einen Midi-Synthesizer. Während dem Spielen erscheinen wieder die zugehörigen Noten auf dem Bildschirm. Das Music System ist momentan die einzige Midisoftware, die das realtime schafft, wenn auch nur einstimmig. Im Midimodus kann man sechs verschiedene Stimmen einspielen und später über den Synthesizer wiedergeben. Ist man glücklicher Besitzer mehrerer Synthesizer, kann man die sechs Stimmen auch beliebig über die einzelnen Instrumente verteilen. Jedes spielt dann mit seinem Sound nur die ihm zugeteilten Stimmen. Also Synthesizer Nr. 1 etwa Baß, Nr. 2 Gitarre und Nr. 4 Geräuscheffekte. Die sechsstimmigen Midi-Files kann man auch in SID-Chipfiles umwandeln und umgekehrt. Auf diese Weise lassen sich die Midi-Songs in den Noten-Editor laden und dann nach allen Regeln der Kompositionskunst weiterbearbeiten.
Noten und Text, schwarz auf weiß
Das Druck-Modul ermöglicht den Ausdruck der Kompositionen. Die drei Stimmen werden jeweils in drei untereinanderliegenden Notensystemen gedruckt. Zusätzlich kann man jeden Song mit einem Liedtext versehen. Mit den Pull-Down-Menüs lassen sich viele Ausdruckformate anwählen. Außerdem kann man verschiedene Drucker, wie Epson, Star und die CBM-Drucker (MPS 801/802) ansprechen.
Kurz und gut: »The Music System« ist eine erfreuliche Alternative auf dem Markt der Musikprogramme für den Commodore 64. Es ist hervorragend bedienbar und geizt auch nicht mit Möglichkeiten. Midi-Option und Notationsfähigkeit mit Ausdruck machen das Programm nicht nur, aber auch, für die unzähligen, mittlerweile mit Commodore 64 und einem Midi-System arbeitenden Musiker, interessant.
(Richard Aicher/bs)Info: Rushware, An der Gümpgesbrücke 24, 4044 Kaarst 2