Interview mit Raubkopierern
An professionelle Raubkopierer ist schwer ranzukommen. Dennoch gelang uns zumindest ein Telefoninterview mit Section 8, einer der bekanntesten Raubsoftvereinigung Deutschlands.

Bei der Recherchierarbeit für diesen Artikel fiel uns beim Sichten von »geknackten« Programmen immer wieder ein Name auf: Section 8. Da wir hier eine größere Gruppe von Knackern in fast schon professionellem Stil vermuteten, versuchten wir, Kontakt mit Section 8 aufzunehmen. Schließlich konnten wir sie zu einem längeren Telefoninterview überreden, deren wichtigsten Aussagen wir hier in geraffter Form wiedergeben wollen:
Zuerst einmal wollten wir natürlich wissen, wer Section 8 eigentlich sei. Es ist eine Gruppe von vier Leuten zwischen 15 und 24 Jahren. Die meisten gehen ganz normal zur Schule. Bis vor kurzem beschäftigten sie sich nur mit dem Commodore 64, inzwischen hat sich einer noch einen Apple zugelegt. Die Frage nach dem typischen Tagesablauf beantworteten sie wie folgt: »Der Vormittag steht im Zeichen der Schule. Der erste Weg am Nachmittag führt zum Briefkasten, danach wird kopiert und geknackt«. Andere Hobbys, die nichts mit Computer zu tun haben, haben die vier überhaupt nicht.
Einige »statistische« Angaben machten sie uns auch gleich. Pro Woche werden mindestens fünf, in Spitzenzeiten über zwanzig Programme geknackt. Die durchschnittliche Zeit, um ein Programm komplett zu bearbeiten, ist etwa 45 Minuten. Dabei wird das Original-Programm analysiert, der Kopierschutz entfernt, das Programm umkopiert. Außerdem wird noch der Name der Gruppe im Titelbild des Programmes oder im Programmcode versteckt. Diese für uns erstaunlich geringe Durchschnittszeit resultiert daraus, daß Firmen ihren Schutz selten ändern, so daß man, ist erst einmal ein Programm einer Firma geknackt, für die weiteren nur noch wenige Minuten benötigt. »Harte Brocken«, Programme also, bei denen man ganz von vorn anfangen muß, benötigen dank der bisher gesammelten Erfahrungen sehr selten mehr als drei bis vier Stunden. Das Knacken ist fast schon eine Routinearbeit geworden. Dies brachte auf unserer Seite die Frage nach dem Warum auf.
Warum wird geknackt?
Dies wurde uns mit mehreren Argumenten beantwortet. »Erstens einmal macht es ganz einfach Spaß, die Softwarefirmen zu »bescheißen« (Originalzitat Section 8). Der hauptsächliche Grund liegt aber in den hohen Softwarepreisen verborgen. Meistens sieht es so aus, daß eine etwas größere Gruppe von etwa zehn Leuten jede Woche Originale einkauft.
Diese werden dann geknackt, jeder erhält eine Kopie von jedem, behält aber ein Original. So zahlt jeder effektiv nur ein Zehntel von dem, was die Software im Laden kosten würde. Außerdem sind bei dieser Verfahrensweise stets die Anleitungen vorhanden oder können fotokopiert werden, so daß auch professionelle Software, wie Textverarbeitungen und Datenbanken, beliebte Knackobjekte sind. Kurze Zeit später gehen die Programme an weitere Leute. Auch hier wurden uns ein paar Zahlen genannt: Einer der vier »beliefert« jede Woche etwa 25 Leute im Inland und 50 im Ausland. Die hohen Portokosten und das Geld für die Disketten werden durch »freiwillige Geldspenden« wieder hereingeholt. Direkt verkauft wird aus Sicherheitsgründen nicht. Daß dann wenige Wochen später sehr viele Leute die Software haben, stört Section 8 nicht. Geknackt wird hauptsächlich damit man die Software selber hat. Daß sie dann »rumgeht«, ist mehr oder minder ein nützlicher Nebeneffekt und gar nicht mal so sehr das eigentliche Ziel. Natürlich ist es aber ein gutes Gefühl, wenn man weiß, daß Unmengen von Commodore 64-Besitzern Software bei sich rumstehen haben, die von Section 8 kommt. Der »Ruhm« ist erwünscht. Section 8 möchten die bekanntesten Knacker in Deutschland werden, aber das ist eben, wie schon gesagt, eine Nebenwirkung.
Unsere Zwischenfrage, warum denn offensichtlich nicht das Argument der Softwarefirmen ziehe, daß Raubkopien und Knackversionen den Firmen ungeheuere Verluste zuweisen, und daß so gezwungenermaßen die Qualität der Software sinken müßte, wurde klar beantwortet: »Von dem was jede Woche kommt, ist mindestens ein Viertel in sehr guter Qualität«. Seit Section 8 knackt, konnten sie keinen Qualitätsverlust, sondern nur einen Anstieg feststellen. »Die großen Firmen könnten sicherlich nicht ein Jahr überleben, würden sie wirklich so schlimm dran sein, wie sie immer behaupten. Die hohen Softwarepreise sind also garantiert immer so kalkuliert, daß die Verluste vollkommen ausgeglichen werden. Bei manchen Firmen sei sogar das Gegenteil der Fall, sie werden durch die Knacker regelrecht unterstützt. Das markanteste Beispiel ist Commodore selbst. Diese Firma solle ja nicht glauben, daß sich der C 64 so gut verkauft, weil er der beste Computer derzeit ist, sondern weil Jugendliche hier am leichtesten umsonst an wirklich gute Software, hauptsächlich wohl Spitzenspiele, herankommen können. Und die, die am lautesten klagen, Data Becker, bringen gleichzeitig ihre Trainingsbuchreihe heraus, die sich durchgehend besser verkauft, als die behandelte Software selbst. Und Data Becker wird wohl auch ganz genau wissen, daß die meisten der Käufer die Bücher nur deswegen kaufen, weil sie kein Original und somit keine Anleitung haben, sondern eben beispielsweise eine Section 8-Version. Wenn die Knacker nicht wären, gäb's diese Bücher und die damit erzielten Gewinne auch nicht.«
So beschaffen sie Originale
Einige weitere Argumente, die Section 8 für das Knacken anführte: »Knacker sind durchgehend schneller als die Softwarefirmen«. Uns wurde als Beispiel gesagt, daß man schon sehr bald mit der Knack-Version von »Karateka« von Broderbund für den C 64 rechnen könne, zumindest Wochen bevor Ariola auch nur ein einziges Original liefern kann. (Da das Interview fast zwei Monate vor Erscheinen dieser Ausgabe geführt wurde, dürfte Karateka schon bei einigen als Section 8-Version vorhanden sein). Wir wollten hier natürlich sofort wissen, wie das angehen kann. So erklärte uns Section 8, wie sie normalerweise an Software herankommen. Neben dem harten Kern der angesprochenen vier Leute hat Section 8 viele Bekannte im Ausland, insbesondere in England und Amerika, wo die Software schon Wochen vorher als auf dem deutschen Markt erscheint. Von denen läßt man sich die Kataloge der Firmen zuschicken, bestellt dann dort die Software und erhält sie per Luftpost. Auch Bekannte, die mal geschäftlich ins Ausland reisen, werden mit dem Einkauf von Software beauftragt, dafür erhalten sie dann immer die neuesten Knack-Versionen. Teilweise hat man sogar Kontakt zu Mitarbeitern von Firmen. Da ergab sich natürlich die Frage, ob man hier nicht schon von einem internationelen Software-Ring sprechen könnte. Von einer solchen Bezeichnung distanzierte man sich aber. Es ist nicht so, daß es hier eine straffe, hierarchische Organisation gebe, die damit Geld verdienen würde. Es werden einzig und allein die Unkosten wieder hereingeholt, und sonst läuft das Ganze halt wie unter guten Bekannten ab.
Warum nicht selber schreiben?
Nachdem die Frage des Warum damit sehr ausführlich geklärt war, kamen wir noch einmal auf das Knacken an sich zurück. Wir wollten wissen, warum denn solche Experten des Commodore 64 nicht lieber selber Software schreiben. Gefallen würde ihnen das schon, weil sich davon (trotz Knackern) sehr gut leben ließe. Aber das wäre den Section 8's einfach zu viel Aufwand. In ein gutes, umfangreiches Programm müssen mehrere Monate Arbeit hineingesteckt werden. Das wäre ihnen einfach zu langweilig. Es fehlen hier die schnellen Erfolgserlebnisse.
Trotzdem werden Programme geschrieben, meist Knack-Utilities oder Kopierprogramme. Gerade arbeite man an einem neuen Vorspann, der vor jede Section 8-Version gesetzt werden soll (siehe Bild).
Außerdem werden Programme verbessert. So gibt es neuerdings von Oceans »Daley Thompsons Decathlon« eine Section 8-Version, die zu zweit gegeneinander gespielt werden kann (beim Original ist dies nicht der Fall). Bei dieser Gelegenheit wurden Sound und Grafik auch etwas ausgebessert. Solche Projekte werden aber nur in Angriff genommen, wenn es gerade nichts zu knacken gibt.
Weitere Argumente, die für Section 8 gegen das Schreiben von Software sprechen: Es gibt viel zu viele gute Programme für den C 64, da muß man, um einen Renner zu landen, noch mehr Arbeit investieren. Da warten sie lieber auf einen Computer, der noch mehr Möglichkeiten bietet, wie beispielsweise der Atari 520 ST oder der Amiga. Wenn man da sofort einsteigt und gute Software liefern kann, lohnt sich das viel eher, kann man sich schneller einen »Programmierer-Namen« machen.
Da wir gerade beim Thema neue Computer waren, fragten wir nach der Meinung zum 128er. Für Section 8 ist das Gerät eine Totgeburt, denn es bietet gegenüber dem 64er auf den Gebieten Grafik und Sound rein gar nichts Neues. Das bessere Basic ziehe unter Maschinenspracheprogrammieren so und so nicht. CP/M wird ihrer Ansicht nach spätestens mit GEM sterben. Sie werden sich also wahrscheinlich keinen zulegen. Wie gesagt, wartet man lieber auf den Atari 520 oder den Amiga, die wirklich Neues bieten.
Die Frage nach den Konsequenzen
Zurück zum Thema Knacken: Wir wollten wissen, ob man sich über die rechtlichen Konsequenzen im klaren sei, falls man erwischt werden sollte. Section 8 hält es aber für extrem unwahrscheinlich, daß jemals die Polizei vor ihrer Haustür steht. Und sollte das je der Fall sein, so wird man zwar stapelweise Originale finden und auch einige aktuelle Raubkopien, maximal vier bis fünf Disketten voll, aber keinerlei Hinweise, daß dort kopiert und geknackt wird. Bei ihnen sieht es ab und zu schon so aus, wie man es sich vielleicht vorstellt: Haufenweise Disketten, Computer, Notizpapier und Bücher, und vor allen Dingen Unordnung. Aber das ist eher selten, meist sieht es so aus, wie bei jedem anderen Commodore 64-Besitzer. Man ist sich sehr sicher, daß niemand nachweisen kann, wer Section 8 ist. Und selbst wenn es zu irgendwelchen Maßnahmen kommen sollte, so besorgt man sich halt einen guten Rechtsanwalt, der sich mit der Materie auskennt. Die Rechtslage ist laut Section 8 nämlich derart verworren, daß man sich auch hier ziemlich sicher fühlen darf.
Um langsam zu einem Ende zu kommen, wollten wir noch wissen, welche Firmen nach Ansicht von Section 8 am besten schützen. Bei Disketten seien dies Datasoft und vielleicht noch Electronic Arts, bei den Kassetten hauptsächlich Anirog und andere englische Firmen.
Als allerletztes wollten wir noch etwas über die Zukunftspläne von Section 8 hören. Wann sie mit Knacken aufhören werden, weil es ihnen zu langweilig wird, ist augenblicklich noch nicht abzusehen. Man wird zumindest in nächster Zeit Section 8 noch etwas bekannter machen wollen: So sind gerade eigene »Section 8 International«-Aufkleber und -Buttons in Produktion. Und direkt nach dem Auflegen des Telefonhörers würden sie sich einem Eilpäckchen aus Österreich widmen, das die Post gerade vorbeigebracht hat.
(M. Kohlen/B. Schneider/aa)