Sumpf II

Die Ex-Knacker — wo sind sie geblieben?

Die Szene hat sich verändert. Der Raubkopierermarkt wird heute von anderen Namen beherrscht.

Damals noch gab es innerhalb der geschlossenen Gesellschaft der Raubkopierer eine höhergestellte Klasse der »Superheroes of Cracking« (zumindest erweckten sie den Eindruck einer exklusiven Gesellschaftsschicht, an die ein normaler Computerfreak nicht so leicht herankam). Dazu gehörten so schillernde Gestalten wie Antiram, 1103, Oleander, Mister 0, Jedi, Kotzbrocken und andere. Doch von diesen Pseudonymen sieht man heute nichts mehr. Sind die alten Knacker den Säuberungsaktionen der Softwarefirmen zum Opfer gefallen, haben sie grundlos aufgehört zu knacken oder arbeiten sie mittlerweile ganz legal für die Softwarefirmen?

Nach einigen Recherchen ist es uns gelungen, diese Leute zu befragen (Ex-Knacker reden ungern über ihre Vergangenheit). Entscheidendes Ergebnis: Der Polizei ist keiner zum Opfer gefallen. »Dazu haben wir uns rechtzeitig aus dem Raubkopierermilieu entfernt«, sagt einer von ihnen. »Die meisten von uns sind schon ausgestiegen, bevor die Firmen mit der intensiven Verfolgung der Softwarepiraten begannen.« Also war das nicht der ausschlaggebende Grund, damit aufzuhören? — »Nein. Sicher ist es gefährlicher als früher, aber wenn wir wollten, könnten wir jetzt noch immer so weitermachen wie damals; Wir haben keine Softwarelisten verschickt, und andere Beweise, wer wir sind — oder besser waren — gibt es nicht. Und auf ein paar zweifelhafte Zeugenaussagen kann sich kein Gericht stützen, eher hätten diese "Zeugen" sehr bald eine Verleumdungsklage am Hals.« Warum habt Ihr dann aufgehört zu knacken? — »Da gibt es viele Gründe, die alle zusammenspielen. Außerdem knacken wir manchmal noch immer, aber nicht mehr für andere Leute. Wir sind lediglich aus der Raubkopiererszene ausgestiegen.« Also gut, warum seid Ihr ausgestiegen? — »Für die meisten von uns war es einfach langweilig geworden. Irgendwann wiederholen sich die Schutzmechanismen, die Softwarefirmen lassen sich nichts Neues mehr einfallen. Da wären unsere Kopierschutzmethoden sicher besser. Man muß aber zugeben, daß das Knacken einen gewissen Lerneffekt mit sich brachte. Man lernt dabei eine Menge über Programmiertechniken. Mittlerweile sind wir in der Lage, auch selbst professionelle Software zu schreiben.«

Knacken als Lehre und Anschauungsunterricht für professionelle Software-Entwickler — ein neuer Aspekt. Und tatsächlich entwickeln einige von den einstigen Helden des Knackertums professionelle Software und arbeiten für große und bekannte Firmen: »Eigene Software schreiben macht mittlerweile mehr Spaß, als in fremder Software herumzuwühlen. Auch das ist ein Grund gewesen, aufzuhören. Und schließlich sind einige von uns auch mit anderen Dingen (Studium, Arbeit, Bundeswehr) beschäftigt und haben keine Zeit mehr für ihren Computer. Andere wiederum streben in die höheren Ebenen und planen, selbst einen Computer zu bauen.« Wer von den Ex-Knackern in das legale Computer-Business einsteigen wollte, hat es geschafft. Es existieren keine Jedis, Antirams, KBRs oder 1103s mehr. Die Szene sieht anders aus als damals. Wir wollten von den jetzt »legal« gewordenen erfahren, was sie denn von der gegenwärtigen Szene im Vergleich zur damaligen halten. — »Damals, als wir aktiv waren, hatten die Kopien einfach eine bessere Qualität. Zur Zeit sind nur noch wenige Leute aktiv in diesem Gebiet tätig. Und die verstehen es nicht, sauber zu knacken. Da wird zum Beispiel ein Spiel, das nur 4 KByte lang ist, mit 202 Blocks auf Disk gespeichert, also einfach Reset und den ganzen Speicher SAVEn. So dilettantisch haben wir nicht gearbeitet. Allerdings hatten wir nicht geknackt, um möglichst schnell und viel zu verbreiten, sondern aus Spaß am Knacken und dem Erfolgserlebnis, gute Arbeit geleistet zu haben. Außerdem hatten wir die Kopien nicht gleich an jeden weitergegeben, sondern erst einmal eine Weile vor der Allgemeinheit zurückgehalten. Das gab uns zumindest das Gefühl, den legalen Händlern eine Chance zu lassen. Dieses Gefühl von Loyalität zu den Händlern hat heute keiner mehr; wahrscheinlich, weil diese Leute nie mit Händlern zusammenarbeiteten (wie wir manchmal) und weil sie nie selbst Software schreiben.« Wieso diese Loyalität zu den Händlern? — »Wir sind zum Teil selber welche…«

(M. Kohlen/aa)
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