Sind Sie ein Räuber?

Michael Pauly, Chefredakteur

Wer ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors auch nur für einen Bekannten ein Programm dupliziert, hat eine Raubkopie verfertigt — wenn das Programm dem Urheberrechtsschutz unterliegt. Das ist — so haben jetzt unsere obersten Richter entschieden — der Fall, wenn zur Erstellung der Software überdurchschnittliches Programmierkönnen erforderlich war. Ich halte diese BGH-Entscheidung inhaltlich für vernünftig: Es besteht kein Bedarf an besonderem Schutz für Software, die der Durchschnittsprogrammierer ohne besondere Schwierigkeiten schreiben kann — und für das, was im Niveau darunter liegt, erst recht nicht. Es besteht auch kein Schutzbedürfnis für Produkte, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen.

Ausgesprochen praktisch ist die Entscheidung allerdings nicht: In Streitfällen müssen jetzt jedesmal Gutachter her, die beurteilen, was als Durchschnittskönnen anzusehen ist und ob das fragliche Programm davon genügend nach oben abweicht. Und da das »Durchschnittskönnen« keine gleichbleibende Größe ist, mit der man — wenn sie einmal festgelegt wurde — in Zukunft messen kann wie mit Meter oder Watt, dürften sich Streitfälle künftig länger hinziehen und zu höheren Gebührenrechnungen führen als bisher. Wo es um wichtige Entwicklungen geht, wird das kein Hindernis sein. In vielen Fällen von »Kleinkram« sollte das BGH-Urteil — und dieser Nebeneffekt ist nicht zu verachten — eine wünschenswerte Abschreckungswirkung haben: Mancher wird sich überlegen, ob und wie er bei einem xy-Produkt sein überdurchschnittliches Können nachweist.

Vereinfacht gesagt: Kopieren darf man, was sich eigentlich nicht zu kopieren lohnt. Die wirklich attraktiven Programme, hinter denen in der Regel ja auch überdurchschnittliches Programmierkönnen steckt, sind und bleiben geschützt.

Michael Pauly, Chefredakteur
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