Semmelservice mit dem C 64
Wie zu Omas Zeiten wird Ihnen in München das Frühstück vor die Haustür gebracht. Bei Sonnenschein und Regen. Der Unterschied zu früher: Anstelle eines Fahrrads ein Lieferwagen und ein C 64 für die Buchführung und Streckenplanung.

So ein Pech! Da hat man gerade eine Wette mit seiner Freundin verloren: Eine ganze Woche Frühstück ans Bett. Und das bei der Saukälte am Novembermorgen! Da fällt einem brühwarm der Handzettel ein, der vorgestern im Briefkasten lag. Jemand bot doch da einen Semmel- und Frühstücksdienst an? Der Blick in den Müll findet das gelbe Blättchen: Wie zu Omas Zeiten kann man sich Semmeln, Brezen, Milch, Butter und Eier morgens bis halb acht vor die Haustür bringen lassen. Die Laune steigt um hundert Prozent. Der Service rettet Ihre Morgenstunden.
Eines Tages hatte es der Medizinstudent Helmut Radspieler satt, »immer mit dem letzten Zwanziger in der Tasche« herumzulaufen. Da fiel ihm seine Jugend ein. Damals hatte er mit seinem Freund in einem amerikanischen Film (wo denn sonst?) gesehen, wie ein Botenjunge außer der Zeitung noch eine Tüte mit Brot und Butter an die Tür einer Vorstadtvilla schleuderte. Die damaligen Schüler versuchten die Idee in ihrer Wohngegend zu kopieren. Es funktionierte. Nur das Durchhaltevermögen der Jungs ließ nach, und nach dem Abi gaben sie endgültig auf. Bis vor zwei Jahren Helmut Radspieler das Geschäft wieder ankurbelte. Diesmal aber besser organisiert. »Professioneller« und mit Computerunterstützung. Als Computer benutzt er einen C 64 mit Diskettenstation und Drucker.
Freunde leisteten Hilfestellung
Ein Freund, Informatik-Student, hat Helmut dazu ein menügesteuertes Programm geschrieben, das drei Dateien verwaltet: eine Kundendatei, eine Bäckerliste und eine Tourenliste. Bäcker- und Tourenliste ergeben sich dabei jeweils auf Befehl aus der Kundendatei. Die Tourenliste wird nach den verschiedenen Gebieten aufgebaut, die vom Frühstückservice beliefert werden. Dort stehen in optimierter Reihenfolge die anzusteuernden Adressen. Dazu kommt bei jedem Kunden die Uhrzeit, zu der er spätestens seine Brötchen haben will. Ist der Fahrer mal in Verzug, muß er auch mal einen kleinen Umweg fahren, um einem Früh-aus-dem-Haus-Geher zu versorgen. Die Kundendatei enthält außer Namen und Adresse auch die Standard-Mengen, die ein Kunde pro Tag haben möchte. Will jemand nur am nächsten Dienstag drei Brötchen mehr, kann das genauso vermerkt werden, wie die Änderung »jeden Dienstag drei Brezen«. Per Telefon und Anrufbeantworter werden die vom Normalfall abweichenden Werte vom Kunden an Helmuts Frühstücksdienst und von diesem an den Bäcker und die Molkerei gemeldet.
Ein typischer Arbeitstag:
»Um halb fünf morgens rasselt der Wecker, denn ich will mit Helmut auf Tour. In einer halben Stunde müssen wir in der Molkerei Schwabing die Milch abholen. Der weißbekittelte Helfer übergibt uns einen Korb mit 28 ganzen und 19 halben Litern Milch. Dazu elf Joghurt und 20 Halbpfünder Butter. Danach geht’s zum Bäcker. Da liegen 687 Semmeln und Brezen, 15 Croissants und zwei Vollkornbrote für uns bereit. Wir laden das Zeug in einen japanischen Mini-Transporter ein. Damit grast »Helmuts Frühstücksservice« die Münchner Gegend zwischen Olympiazentrum und Schwabing ab. Ein angestellter zweiter Fahrer kutschiert die Ware durch Reihenhausgebiete im Münchner Westen. Den 150, meist festen Kunden kommt der Service nicht allzu teuer: Drei Mark die Woche, wenn jeden Tag geliefert wird und zwei, wenn’s weniger als drei Tage sind. Auch die Preise für Semmeln, Croissants, Milch und Brezen sind kaum teurer als beim Bäcker oder dem Supermarkt an der Ecke. Die Masse macht’s. Nachdem der zweite Fahrer bezahlt ist, bleibt ein hervorragender »Nebenverdienst«. Fast 3 000 Mark im Monat bei dreieinhalb Stunden Arbeit am Tag, inklusive Buchführung.
Die Buchführung wird genauso wie das Schreiben von Rechnungen auch vom C 64 übernommen. Säumige Zahler werden gemahnt und Kunden-individuelle Fakturen geschrieben. Das Programm holt sich selbständig aus der Kundendatei die wöchentliche Bestellmenge und die Sonderlieferungen und Abbestellungen einzelner Tage. Die Preise pro Einheit werden getrennt gehalten, wie in jedem flexiblen System. Selbstverständlich werden Feiertage, an denen keine Semmeln ausgefahren werden, automatisch berücksichtigt. Das Kontrollieren der Rechnungen, die Helmut selber zahlen muß, also Molkerei und Bäcker, übernimmt ebenfalls der Computer. Man kann einen beliebigen Zeitraum eingeben, für den eine Rechnung erstellt oder überprüft werden soll. Mit dem Bäcker ergeben sich ab und zu Differenzen von vier oder fünf Brötchen, aber die regelt man problemlos. Der Bäcker kalkuliert und fakturiert ja auch per Computer.
Bei der morgendlichen Tour sehen wir keinen unserer Kunden. Die meisten von ihnen kennt auch Helmut nur per Telefon und Brief. Die Türen der Häuser, an denen er das Frühstück abliefert, sind um sechs Uhr früh geschlossen. Illustre Namen sind dabei: Freiherr von X, Graf Y und sogar Prinz Z. Dazu beliefern wir Münchens Villengegend. Da erstaunt es nicht, daß auch ein gewisser Herr Flick sich beliefern ließ. Junge Polizisten nehmen dankbar die Abwechslung in ihrer Dienstroutine zur Kenntnis.
Wir stellen die Papiertüten unter den Sims. Falls es regnen sollte, stopfen wir sie in bereitliegende Plastiktüten und schon hat uns die Straße wieder. Um halb acht sind wir fertig, das letzte Kipferl wartet auf den, der es verschlingen wird.
Der Frühsport — fahren, aussteigen, Autotür auf, Sachen raustragen, Tür zu, einsteigen, weiterfahren — steckt einem noch eine Zeitlang in den Knochen.
Leider kam an diesem Morgen keine Begegnung der Art zustande, wie sie mir Helmut schilderte: An einer Ampel bat ihn einmal eine junge Studentin um ein Brötchen. Er gab es ihr. Anschließend fuhr sie mit und half ihm bei der Arbeit. Als er schließlich das Angebot machte, ihr seinen C 64 zu zeigen, folgte sie ihm gerne zum Kaffeetrinken in seine Wohnung.
(Tomas F. Lansky/hm)