Paperclip — ausdrücklich gut
Paperclip ist ein relativ unbekanntes Textverarbeitungsprogramm, trotzdem gehört es zu den leistungsfähigsten für den C 64 überhaupt
Das Textverarbeitungsprogramm »Paperclip« gibt es schon seit einiger Zeit für die CBM-Serie von Commodore, also für die Computer der Reihen 3000, 4000 und 8000. Die hier getestete neue Version von Paperclip für den C 64 wurde aber überarbeitet und in einigen Punkten erweitert.
Paperclip gehört, wie Wordpro 3+, nicht zu den sogenannten bildschirmorientierten Textprogrammen. Damit ist angedeutet, daß der Text im Speicher unformatiert ist und erst beim Ausdruck auf dem Drucker seine endgültige Form bekommt (Bild 1). Das hat den Vorteil, daß die Grundeigenschaften des Editors relativ einfach sein können.

Erst schreiben, dann formatieren
Der Nachteil dieser Methode ist aber ein relativ unübersichtlicher Text auf dem Bildschirm, da die Formatbefehle für den Drucker im Text enthalten sind und ihn damit unterbrechen. Wenn man sich allerdings an diese Art der Textverarbeitung gewöhnt hat, kann man durchaus damit zurechtkommen, vor allem bei einem Programm wie Paperclip, das die oben genannten Nachteile durch viele Hilfsmittel relativiert. So kann man sich beispielsweise jederzeit ein exaktes Abbild des späteren Ausdruckes auf den Bildschirm geben lassen, praktischerweise sogar in 80-Zeichen-Darstellung (Bild 2), in der man die spätere Formatierung des Textes besonders gut erkennen kann.

Das Programm kommt aus Kanada und ist deshalb nicht von Haus aus mit den deutschen Umlauten ausgestattet. Man kann aber einige Buchstaben, die sogenannten »Multilingual Keys«, frei besetzen und damit dieses Manko ausgleichen. Ferner ist es möglich komplette Zeichensätze nachzuladen und somit auch eine komplette deutsche Schreibmaschinentastatur zu realisieren. Um diesen geänderten Zeichensatz auch voll auf dem Drucker ausgedruckt zu bekommen, kann man sich seine eigene Druckerdatei, mit allen spezifischen Druckercodes, selbst erstellen. Es werden dabei aber nur die vorhandenen Möglichkeiten des Druckers genutzt. Umlaute auf Commodore-Druckern sind deshalb mit Paperclip nicht möglich.
Gut in Form
Doch nun zu den Möglichkeiten der Textbearbeitung (Tabelle). Selbstverständlich sind umfangreiche Standard-Operationen wie Verschieben, Kopieren, Einsetzen und Löschen von Textteilen möglich. Sehr einfach und elegant gelöst ist hierbei das Einschreiben von Textteilen, das über die Commodore-Taste eingeleitet und wieder beendet wird. Die übrigen Manipulationen sind in größerem Rahmen leider nur zeilenweise durchzuführen. Innerhalb einzelner Absätze kann man diese Operationen aber auch zeichenweise definieren. Das beginnt zunächst immer mit der Kennzeichnung des zu verändernden Textteiles, gefolgt von der eigentlichen Operation. Sehr umfangreich und mächtig ist dabei die Replace-Funktion ausgefallen. Man kann damit einzelne Textstellen, die immer wieder im Text vorkommen, austauschen. Diese Funktion funktioniert auch »global«, das heißt über mehrere aneinandergekettete Textdateien hinweg. Außerdem kann man auch sogenannte Jokerzeichen, wie sie auch beim Arbeiten mit der Floppy vorkommen, einsetzen und diese Funktion damit noch effektiver nutzen. Völlig aus dem Rahmen üblicher Textprogramme fällt die Möglichkeit auch einzelne Spalten und ganze Textblöcke zu manipulieren. Dabei sind nicht nur die schon erwähnten Funktionen wie Ersetzen, Löschen und Kopieren möglich, sondern auch Rechenfunktionen. Geradezu sensationell ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit in Spalten angeordnete Tabellen nach mehreren, selbstgewählten Schlüsseln sortieren zu können. Diese Funktionen sind besonders bei Tabellenkalkulationen (wohlgemerkt innerhalb der Textverarbeitung) oder Abrechnungsformularen wichtig. Um einer solchen Tabelle bei der Bearbeitung mehr Raum geben zu können, kann man die 40-Zeichendarstellung aufgeben und sie bis auf 250 Zeichen pro Zeile ausdehnen. Dabei wird horizontales Scrolling verwendet, um alle Bereiche des Textes erreichen zu können.
- Editieren (zeilen- und zeichenweise)
- Kopieren, Verschieben von Textteilen
- Tabulatoren
- Blockverschiebebefehle
- Tabellensortierung nach mehreren Schlüsseln
- Rechenfunktion
- 80-Zeichen-Darstellung
- Speichern einzelner Textteile
- unkompliziertes Laden aus dem Directory
- Sequentielle Files speichern und laden
- Kassettenbedienung mit Verify
- Redewendungen
- umfangreicher Replace-Befehl mit Jokerzeichen
- beliebiger Zeichensatz ladbar
- Sonderzeichen definierbar
- relatives Setzen der Textränder
- linksbündig, Zentrierung, rechtsbündig
- Blocksatz
- Kopf- und Fußzeile
- Programmierte Pause beim Ausdruck
- Druckersteuerzeichen
- Unterstreichen
- Fettschrift
- Schrägschrift
- Super- und Subscript
- Formbriefausdruck
- Zeilenbreite beliebig einstellbar
- viele Druckeranpassungen
- eigene Druckerdatei definierbar
- Druckerfile ins Hauptprogramm fest installierbar
- RS232-Interface-Unterstützung
- Centronics-Schnittstelle
- Rechtschreibüberprüfung
Die Formatierungsmöglichkeiten für den Ausdruck sind ebenfalls vielfältig und sehr umfangreich. Das beginnt schon beim Setzen des rechten und linken Randes. Man kann hier zunächst einmal einen festen Rahmen stecken, der aber jederzeit wieder durch relative Änderungen manipulierbar ist. Soll beispielsweise weiter hinten im Text um fünf Zeichen weiter eingerückt werden, so kann man diese Änderung auch relativ angeben. Wird nun die Grundformatierung am Anfang gewechselt, so ändert sich der Druckbeginn des Textes ab der bewußten Stelle weiterhin um fünf Zeichen relativ zur neuen Formatierung. Man kann an jeder Stelle des Textes einen Seitenumbruch beim Ausdruck erzwingen. Sehr einfach ist auch die jederzeit mögliche Änderung der Schreibdichte von Pica über Elite bis hin zur Schmalschrift. Unterstreichen, Fettdruck und Schrägschrift werden durch spezielle Zeichen gut unterstützt. Diese Druckänderungen werden übrigens bei der formatierten Ausgabe auf dem Bildschirm berücksichtigt und dargestellt. So ist jede unterstrichene Stelle bei der formatierten Ausgabe wirklich unterstrichen. Fettdruck und Schrägschrift werden invers dargestellt. Natürlich kann man auch Subscript und Superscript einsetzen. Besonders interessant ist hierbei die Tatsache, daß bei Druckern, die über diese Druckfunktionen gar nicht verfügen, durch mehrfaches Ausgeben einer Zeile Super- und Subscript doch realisiert werden. Die Schrift wird eben bei Superscript über dem eigentlichen Haupttext und bei Subscript darunter gedruckt. Ferner kann man jederzeit zwischen linksbündiger, zentrierter und rechtsbündiger Ausgabe des Textes auf dem Drucker hin- und herschalten. Auch der Spaltendruck, bei dem die Druckzeilen durch Einfügen zusätzlcher Leerzeichen auf eine konstante Länge gebracht werden, wird unterstützt. Kopf- und Fußzeilen können jederzeit im Text plaziert werden und werden dann bei jeder nachfolgenden Druckseite oben und unten angefügt. Leider können diese beiden Texte nur eine Zeile umfassen, was sich in der Praxis störend auswirken kann. Abgerundet werden die Formatierungsmöglichkeiten durch Befehle, die an bestimmter Stelle den Druck anhalten, um zum Beispiel das Typenrad zu wechseln, oder die das Senden spezifischer Drucksteuerzeichen erlauben.
Ein Problem, das beim Schreiben von Texten auf dieser Art von Textprogrammen entsteht, ist, daß man vorher nie genau weiß, wie später der fertige Text beim Ausdruck aussehen wird. Besonders deutlich wird dieses Manko, wenn man an lange Wörter denkt, die eine Zeile ganz schön »zerrupfen« können. Um dies abzumildern, kann man einen sogenannten bedingten Trennungsstrich in ein solches Wort einsetzen. Steht das Wort später beim Ausdruck mitten in der Zeile, wird es normal zusammengeschrieben. Steht es aber am Ende einer Zeile, wird es an der vorher festgelegten Stelle getrennt und ein Trennungsstrich eingefügt. Wichtig ist ferner die Möglichkeit ein festes Leerzeichen (mit Shift Space) zwischen zwei Wörter zu setzen, die nicht voneinander getrennt werden sollen. Dies ist besonders beim oben erwähnten Spaltendruck von Vorteil, da hier an dieser Stelle keine zusätzlichen Leerzeichen eingefügt werden. Eine sehr nützliche Einrichtung ist die Definition von Redewendungen. Einmal am Anfang definiert sind sie schnell per Tastendruck abrufbar und eine echte Hilfe beim Schreiben, da man im allgemeinen immer wieder einmal solche festen Redewendungen im Text benutzt. Leider ist der vorhandene Textspeicher ziemlich begrenzt. Er beträgt bei 40 Zeichen pro Zeile 424 Zeilen insgesamt. Das sind etwa 17 KByte oder 68 Blocks auf der Diskette. Dafür ist aber das gesamte Programm komplett im Speicher, so daß nichts mehr nachgeladen werden muß.
Komfortable Diskettenbefehle
Die Diskettenfunktionen sind sehr umfangreich und gut gelungen. Besonders das Laden von Texten ist sehr einfach. Dazu ruft man einfach das Inhaltsverzeichnis der Diskette auf und kann sofort aus der Bildschirmauflistung den Namen des zu ladenden Textes entnehmen. Natürlich ist auch das Einfügen von der Diskette in den im Hauptspeicher vorhandenen Text möglich. Selten anzutreffen ist dagegen das Abspeichern einzelner Textteile, was besonders beim Zerschneiden längerer Texte sehr sinnvoll ist. Bemerkenswert ist außerdem die Möglichkeit die Texte nicht nur im speziellen Paperclipformat abzuspeichern, sondern auch ganz normale sequentielle Files zu erzeugen. Man kann also ungehindert Daten von verschiedenen Datenverarbeitungsprogrammen empfangen und verarbeiten sowie Daten an sie zurückgeben. Sogar die formatierte Ausgabe, so wie sie zum Drucker geht, kann auf die Diskette umgelenkt werden. Auch die Kassette wird mit den entsprechenden Lade- und Speicherbefehlen unterstützt.
Paperclip unterstützt nahezu alle Drucker, die an den C 64 anschließbar sind. Auf der Diskette sind spezielle Druckeranpassungen für über 30 Drucker vorhanden. Wer damit immer noch nicht zurechtkommt, kann sich auch seine eigene Druckerdatei zusammenstellen. Besonders gelungen ist dabei die Möglichkeit eine passende Druckerdatei über ein Dienstprogramm mit dem Hauptprogramm zu verschmelzen, so daß automatisch mit dem Laden dieser speziellen Variante des Programmes die richtige Druckereinstellung vorhanden ist. Außerdem kann man so auch andere Daten wie Textfarben fest auf individuelle Werte einstellen. Doch zurück zur Druckeranpassung. Man kann nicht nur über den seriellen Bus arbeiten, sondern auch über die am User-Port vorhandene RS232-Schnittstelle. Auch Centronics-Drucker sind am User-Port direkt anschließbar, die Ansteuersoftware ist in Paperclip enthalten. So dürfte es mit dem Anschluß auch der exotischsten Drucker und Schreibmaschinen keine Probleme geben.
Formbriefe wie Rundschreiben, Abrechnungen und ähnliches sind auch kein Problem mit dieser Textverarbeitung. Die jeweils in den Formbrief einzusetzenden Informationen werden einem zusätzlichen Datensatz entnommen, der auch von entsprechenden Datenverarbeitungsprogrammen kommen kann. Damit kann man eine Verbindung zwischen Textverarbeitung und Adressenverwaltung herstellen.
Rechtschreibung
Ein ganz besonderes Schmankerl ist die eingebaute Überprüfung des Textes auf Rechtschreibfehler. Leider ist zwar der Grundwortschatz von 20000 Wörtern in englisch, aber man kann diesen Grundwortschatz um mehr als 5000 Begriffe erweitern und damit durchaus effektiv arbeiten. Unterstützt wird man dabei durch die kurze Überprüfungszeit, die, egal wie lang der Text ist, etwa 3 Minuten dauert, und die Entscheidungshilfe bei unbekannten Wörtern. Man wählt hier einfach über die Funktionstasten was man haben will: Überspringen, Verbessern oder Einspeichern in den Wortschatz.
Die beiliegende Anleitung ist sehr übersichtlich und von einem Punkt zum nächsten aufbauend geschrieben, aber bis jetzt leider nur in englischer Sprache erhältlich.
Vielseitigkeit ist Trumpf
Das Programm besticht durch den Reichtum seiner Möglichkeiten wie sequentielle Datenspeicherung auf Wunsch, umfangreiche Textmanipulationen, interessante Extrafunktionen und die eingebaute Rechtschreibüberprüfung. Die wenigen Schwachpunkte, die das Programm besitzt, verblassen angesichts der vielen und gut gelösten Details. Leider wird dieses Programm noch nicht in einer deutschen Fassung mit Umlauten, deutschem Handbuch und entsprechendem Wortschatz bei der Rechtschreibüberprüfung vertrieben. So muß man sich auf die immerhin umfangreichen Möglichkeiten zur Zeichensatzänderung und ähnliches verlassen. Trotzdem ist das Programm seinen Preis, der bei zirka 200 Mark liegt, in vollem Umfange wert. Warum es in Deutschland so unbekannt ist, ist angesichts der Leistungen, die es bietet, nicht ganz einzusehen. Eine Mitschuld trifft da ganz bestimmt den Hersteller, der sich nicht intensiv genug um den deutschen Markt bemüht und keine deutschsprachige Version dieses Programms vertreibt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Verdient hätte es das Programm jedenfalls.
(Karl Hinsch/aw)Info: Rushware, An der Gümpgesbrücke 24, 4044 Kaarst 2