C 64
Spiele-Test

Play by Mail und Play by Modem

oder: Wie man die Einnahmen der Bundespost durch Computerspiele steigert.

Man kann Computerspiele auch spielen, ohne überhaupt einen Computer zu besitzen. Das Zauberwort heißt Play by Mail oder kurz PBM. In den USA hat sich eine große PBM-Industrie entwickelt, die Briten betreiben es meist semiprofessionell, und Deutschland ist noch im Anfangsstadium: Hierzulande spielt sich das alles noch hauptsächlich im Hobbybereich ab.

Die neuere Variante dieser Spielgattung nennt sich ebenfalls PBM. Hier steht diese Abkürzung für »Play by Modem«; den heimischen Verhältnissen angepaßt müßte man eigentlich PBA sagen. A steht natürlich für Akustikkoppler.

Computerspiel per Post

Wer PBM-Spiele eigentlich erfunden hat, weiß keiner so genau. Angefangen hat es wohl mit Briefschach, das die Grundidee lieferte. Allerdings nur mit zwei Spielern gegeneinander. Von Computern war noch nicht die Rede. Im Lauf der Zeit entwickelten sich neue Spielarten, die sehr große Verbreitung fanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Strategiespiele wieder populär, und Anfang der siebziger Jahre begann dann der Boom der Rollenspiele. Die Fans dieser Gattungen trafen sich, da man in Gruppen spielt. Doch einige, die sich dafür interessierten, hatten keine Gleichgesinnten in ihrer Umgebung. Bis jemand etwa Mitte der siebziger Jahre darauf kam, solche Spiele per Post durchzuführen. Die Teilnehmer sendeten ihre Spielzüge an den Spielleiter, der diese dann auswertete und das Ergebnis an die Spieler zurückschickte. Aus diesen Privatinitiativen wurden dann sehr schnell einträgliche Geschäfte, die Zahl der Mitspieler wuchs, und die Veranstalter konnten die Informationsflut nicht mehr manuell verarbeiten. So wurden dann Computer eingesetzt, und das computer-moderierte Briefspiel war geboren.

Vorteile der Briefspiele: Erstens braucht nicht jeder, der mitspielen will, einen Computer. Zweitens ist diese Art von Spielen oftmals viel interessanter als ein Heimcomputerspiel, denn so ein Großcomputer, wie ihn manche PBM-Firmen benutzen, kann schon eine ganze Menge mehr an Informationen verwalten und somit realistischere Spielabläufe simulieren. Und drittens spielt man nicht alleine; in den USA gibt es sogar Spiele, in denen bis zu 1000 Akteure mitwirken. Und den Ansporn, sich mit Leuten, die teilweise aus der ganzen Welt kommen, in einem Spiel zu messen, kann ein normales Computerspiel nicht bieten.

Die PBM-Spiele können grundsätzlich in drei Gruppen der Computerabhängigkeit eingeordnet werden.

Gruppe 1: Das gesamte Spiel wird durch einen Computer verwaltet und ausgewertet. Die meisten kommerziellen PBM-Anbieter gehören in diese Kategorie; Mammutspiele mit Hunderten von Glücksrittern durch Menschen auswerten zu lassen, ist praktisch unmöglich.

Gruppe 2 arbeitet völlig ohne Computer und ist fast nur auf dem Hobbybereich anzutreffen. Die Auswertung des Spiels ist dann zwar nicht mehr so unpersönlich wie ein Computerausdruck, dafür aber ist so etwas nur mit wenigen Mitspielern machbar und kann weitaus weniger komplex und interessant ausfallen.

Gruppe 3 ist die interessanteste: Die Auswertung erfolgt zwar durch Computer, dieser optimalen Informationsverarbeitung wird jedoch vom Spielleiter ein menschlicher Faktor hinzugefügt und das Ergebnis als individuelles Schreiben dem Teilnehmer zugesandt.

In USA und England gibt es schon PBM-Spiele in großen Mengen. Beispiele sind Silverdawn (das meistgespielte in den Vereinigten Staaten), Duelmasters, Starquest, Moneylender oder Starglobe. In Deutschland ist dieses Hobby noch relativ unterrepräsentiert. Es gibt nur einen einzigen kommerziellen Anbieter (am Rande des Amateurdaseins) und einige Privatanbieter. Beispiele sind Feudalherren (Wirtschafts- und Strategiespiel), Starweb (Sciencefiction-Strategie), Diplomacy (historisches Spiel) oder United (eine strategische Fußballsimulation mit allen Raffinessen).

Zwei der Anbieter betreiben die Auswertung ihrer Spiele sogar mit einem C 64. »Nomaden«, programmiert und angeboten von Wolfgang Sommer, ist ein Spiel, in dem es um Besitztümer, Handel, politischen Einfluß und die 13 Steine der Weisen geht. »Ashes of Empire«, von Harald Topf und M. J. Costello, ist ein Science-fiction-Spiel, in dem es gilt, als erster 15 Planeten zu erobern. Besonderer Gag: Man kann das Programm auch kaufen und selbst einen 8-Spieler-PBM-Betrieb veranstalten (Selbstkostenpreis 28 Mark).

Die meisten PBM-Veranstalter in Deutschland bieten ihre Spiele über Insider-Magazine, die sogenannten »Hobbyzines« an. Da wir im Rahmen einer Computerzeitschrift nicht so ausführlich auf solche Randgebiete des Computerspielens eingehen können, haben sich die Autoren dieses Artikels einen besonderen Service einfallen lassen: Wer mehr Hintergrundinformationen, Adressen von Anbietern und Hinweise auf Fachliteratur zum Thema PBM haben will, kann diese kostenlos erhalten bei: Ferdinand Wlodarczyk, Prager Str. 26, 8000 München 45.

Da die Hauptanwendung der computer-moderierten Briefspiele im Bereich Fantasie und Strategie liegt, ist dieses Thema in unserer Information auch kurz angesprochen. Eine neuere Variante dieser Spielgattung ist das Modem-Spiel. Im Gegensatz zum Briefspiel ist hier jedoch der Computer auch für die Mitspieler notwendig.

Modem-Wahnsinn

Die Geschichte »Wargames«, in der der junge Matthew Broderick mit dem Pentagon-Computer 3. Weltkrieg spielt, ist gar nicht so abwegig. Auf die Wirklichkeit bezogen könnte er zwar keinen Krieg auslösen, aber hätte doch immerhin über sein Modem an der Simulation teilgenommen.

Es gibt tatsächlich eine 3. Weltkrieg-Simulation, die mit bis zu acht Spielern am »Livermore Combat Simulation Laboratory« gespielt wird. Das allerdings auch nur von ausgesuchten Mitgliedern des US-Militärs. Wie können wir nun an solchen Spielen teilnehmen?

Um das US-Superding nachzuahmen, bräuchte man immerhin 2000 C 64, die dann nur noch etwa mit der 70fachen Geschwindigkeit laufen müßten. Denn die vielen Details passen nicht in das RAM eines Heimcomputers, und auch die unglaublich hohe Grafikauflösung dieses Mammutprojekts ist kaum auf einem Kleincomputer zu realisieren. Aber: Nachdem in den USA die ersten Netzwerke für Heimcomputer gegründet wurden, ließen derartige Spiele nicht lange auf sich warten. Eines der meistgenutzten Netzwerke der USA, CompuServe, erweckte 1979 mit Decwars das erste öffentlich zugängliche Modemspiel zum Leben. Decwars ist ein Strategiespiel, und obwohl es schon sehr ausgeklügelt und umfangreich war, wurde es noch zu »Megawars« weiterverarbeitet und verbessert und ist noch immer das gefragteste Modemspiel. Das CompuServe-Netz bietet hauptsächlich Strategiespiele. In »Seawars« kann man nicht nur Krieg spielen, sondern einen »Raum« besuchen, in dem man direkt (online) mit den anderen Spielern seine Züge beraten kann. Andere Netzwerke wie »The Source« und »Delphi« haben sich auf traditionelle Brett- und Kartenspiele eingerichtet, also Bridge, Schach und ähnliches.

Die meisten dieser Netzwerke sind hauptsächlich Informationsvermittler und bieten ihre Spiele nur als Nebenbeiservice an. Das Plato-Netzwerk macht es umgekehrt: Der Mailboxbetrieb ist nebensächlich, als Hauptzweck werden 25 verschiedene Spiele angeboten; die meisten davon aus dem Fantasie-Rollenspiel-Bereich.

Mittlerweile gibt es sogar schon reine sogenannte »Game services«. Eines davon ist PlayNet, das speziell für C 64-Benutzer gedacht ist. PlayNet überträgt sogar hochauflösende Bilder, in denen (zumeist) Denkspiele verabreicht werden. Also Backgammon auf einem richtigen Backgammon-Feld und nicht als bloße Textübertragung. Außerdem können sich die PlayNet-Besitzer noch während des Spiels unterhalten. Schade, daß es hier bei uns so etwas noch nicht gibt.

Den größten Fortschritt in Sachen Modem-Spiele erreichte in England die Universität von Essex. MUD ist die Abkürzung für »Multi-User-Dungeon« und wurde 1983 auf einem DEC 10 entwickelt. Mit MUD entstand das erste Multi-User-Spiel, denn 38 Leute können gleichzeitig spielen. Und sie spielen nicht alle für sich gegen den Computer, sondern gemeinsam oder gegeneinander. MUD ist ein Rollenspiel: Man läuft in einem riesigen Land herum und erlebt Abenteuer. Was das Spiel so interessant macht, ist der unberechenbare Faktor: Man weiß nie, ob man auf eine vom Computer gesteuerte feindliche Gruppe von Abenteurern stößt oder ob man anderen Modemspielern gegenübersteht.

Im Vergleich zu MUD sind die Adventures, die wir gewohnt sind zu spielen, nur einfache Suds — Single User Dungeons.

MUD kann mit jedem Computer zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens an der Essex-Universität »angezapft« werden (tagsüber wird der Computer für wissenschaftliche Zwecke benötigt). Mittlerweile wurde MUD auch ins englische CompuNet übernommen, einem Netzwerk speziell für Commodore-Benutzer. Dazu allerdings braucht man ein spezielles CompuNet-Modem; das Modem hat eine Identitätsnummer, die vom CompuNet-System geprüft wird, so daß man MUD mit einem normalen Modem oder Akustikkoppler nicht spielen kann. Leider. Das CompuNet-Modem läuft mit 1200/75 Baud und kostet 99.99 englische Pfund. Im Preis inbegriffen ist die Mitgliedschaft für das erste Jahr.

Wer einen längeren England-Aufenthalt plant, sollte unbedingt von CompuNet Gebrauch machen. Er kann dabei nicht nur tage- und nächtelang MUD spielen, sondern hat Zugriff auf das interessanteste Netzwerk, das es für Commodore-Besitzer gibt. Von Deutschland aus kann man leider wegen der Baudrate und der ID-Nummer noch nicht auf CompuNet zugreifen.

Hier in Deutschland gibt es weder spezielle Spielnetzwerke noch Multi-User- oder Online-Spiele. Um die Begriffe kurz zu erläutern: Ein Multi-User-Spiel kann von mehreren Leuten gleichzeitig gespielt werden, wogegen Single-User-Spiele nur hintereinander oder abwechselnd von den Benutzern gespielt werden können. Schach per Akustikkoppler ist beispielsweise ein typisches Single-User-Spiel. Der Unterschied zwischen Online- und Offline-Spielen ist wieder etwas ganz anderes. Bei Offline-Spielen wird der Computer nur als Hilfsmittel benutzt. Der Spieler hackt also seinen Spielzug in eine Mailbox. Hat der Sysop die Züge aller Spieler beieinander, werden sie ausgewertet und durch die Mailbox wieder an die einzelnen Spieler weitergegeben.

Die Entwicklungen in Sachen Play-by-Modem sind in Deutschland noch im Anfangsstadium. Doch es tut sich immerhin etwas. Die Software-Express-Mailbox richtet gerade eine Schachecke ein — das Spiel, das auch schon das PBM-Business zum Leben erweckte. In München bietet die Orbit-Mailbox (sie läuft übrigens auf einem VC 20 mit 64K-Erweiterung) interessierten Leuten die Möglichkeit, das Fantasie-Rollenspiel »Advanced Dungeons & Dragons«, das Fantasie-Fans sicher ein Begriff ist, zu spielen. Bisher sind das alles nur Single-User-Offline-Spiele. Jetzt in Deutschland ein Multi-User-Spiel zu erhoffen, ist noch verfrüht, denn erstens erfordert Multi-User-Fähigkeit größere Systeme wie einen DEC oder eine VAX, und zweitens wird so etwas sicher an den Restriktionen der Bundespost scheitern (Multi-User-Schaltungen müssen angemeldet und genehmigt werden). Größere Systeme gibt es zwar auch hier, doch die Universitäten, in denen sie stehen, würden wahrscheinlich ihre Schranken nicht dem »Modem-Wahnsinn« öffnen. Hoffen wir auf Initiativen vom Chaos Computer Club, der in Deutschland noch immer der Vorreiter in Sachen DFÜ ist.

Online-Spiele wären bei uns allerdings durchaus möglich: Man nehme einen C 64 und ein Adventurespiel (kann sogar in Basic sein, das spielt bei 300 Baud keine Rolle). Die Tastatureingabe und die Bildschirmausgabe lenke man auf die RS232-Schnittstelle um, und schon hat man sein Single-User-Online-Spiel.

Wir wollen hiermit alle Mailbox-und Telefonservice-Anbieter aufrufen, eventuelle Entwicklungen und Angebote auf diesem Sektor an die 64'er-Redaktion zu melden. Sobald sich einiges getan hat, werden wir über die neuesten Entwicklungen berichten und dabei auch auf Btx-Spiele näher eingehen.

(M. Kohlen/rg)

Info: Für die Versorgung mit Unmengen Material zu Computerbriefspielen möchte ich folgenden Personen danken:

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