Computer bringen den Kreislauf in Schwung
Der VC 20 und der C 64 werden gerne als Spielzeug abgetan. Der Gegenbeweis liegt vor. Im Institut für Physiologische Chemie in München wurden fünf Commodore bei Untersuchungen im Labor eingesetzt.
Gekachelte Wände, kalter Steinfußboden, Neonlicht, auf dem großen, grauen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes ein Gewirr von Plastikschläuchen, an Stahlstangen aufgehängt. Große und kleine Plastikflaschen — etwas abseits Meßinstrumente und ein VC 20. Der erste Eindruck: steril und kompliziert — dennoch, der Blick durch die Glastür in dieses Labor der Abteilung Stoffwechselregulation des Instituts für Physiologische Chemie an der Uni München erweckt Neugier.
Franz M. Zwiebel, einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter, öffnet einladend die Tür. Drei Schritte bis zu dem dominierenden Schlauchlabyrinth, und es wird noch rätselhafter: In den Schläuchen pulsiert eine klare Flüssigkeit. An dem Tisch sitzt ein junger Mann. Er könnte bestimmt erklären, was sich in dem Schlauchwirrwarr abspielt, wozu dieser Laboraufbau dient. Doch seine hochkonzentrierte Miene läßt keine Frage zu. Offensichtlich hat er überhaupt nicht bemerkt, daß jemand hereingekommen ist. Geduldig und präzise näht er an einem kleinen roten ovalen Etwas, das gut ausgeleuchtet im Scheinwerferlicht vor ihm an den Schläuchen baumelt. Es pulsiert rhythmisch. Erste Assoziation: ein rohes Stückchen Fleisch — nichts für jemanden mit schwachen Nerven. Der junge Mann, Thomas Kapsner, Medizinstudent im sechsten Semester, näht an einem pulsierenden Rattenherz.
Während der ganzen Zeit steht Franz M. Zwiebel schmunzelnd in einer Ecke des Labors. Er kennt die erstaunten und neugierigen Blicke der Outsider. Für ihn ist es Arbeitsalltag, was hier passiert. Wieder draußen auf dem Flur erklärt er: »Wir untersuchen Stoffwechselvorgänge an intakten Tier-Organen. Es ist der beste Weg, verläßliche Angaben über den menschlichen Stoffwechsel zu bekommen. Reagenzglasforschung bringt da nichts. Was Sie eben gesehen haben, ist ein isoliertes Rattenherz, das über einen künstlichen Kreislauf am Leben erhalten wird.« Aha, das leichte Schaudern vorhin war also berechtigt. Und die Schläuche mit der Flüssigkeit stellen den künstlichen Kreislauf dar. Franz M. Zwiebel fährt fort: »Unsere Abteilung erforscht Stoffwechselvorgänge in der Zelle und den Transport von Stoffen über die Zellmembran. Das hört sich sehr kompliziert an, aber im Grunde genommen geht es darum, Wirkungen von Hormonen, anderen körpereigenen Stoffen sowie Medikamenten auf die Spur zu kommen.«
Der VC 20 regelt den Kreislauf
Das klingt alles recht einleuchtend, doch was soll der Commodore dabei? Franz Zwiebel schien die Frage erraten zu haben: »Der VC 20 ist für uns ein unentbehrlicher Helfer geworden. Er regelt den künstlichen Kreislauf bei unseren Experimenten. Nehmen wir als Beispiel das Herz. In einem lebenden Organismus pumpt ein Herz—je nach Belastung — unterschiedliche Blutmengen pro Zeiteinheit durch das Gefäßsystem. Dasselbe geschieht auch bei dem isolierten Herz: Mal kontrahiert der Muskel mehr, mal weniger. Folge ist, daß nicht zu jedem Zeitpunkt eine konstante Menge der Flüssigkeit aufgenommen und abgegeben wird. Dieser Flüssigkeit wollen wir eine bestimmte Konzentration des interessierenden Stoffes zusetzen. Um genaue Ergebnisse zu bekommen, muß die zugepumpte Menge der Durchflußgeschwindigkeit angepaßt werden. Schwankungen, die das lebende Organ bewirkt, sind über den Schrittmotor der Infusionspumpen zu regulieren. Und diese Regulation übernimmt der VC 20 für uns. Über eine Meßeinrichtung nimmt er die Menge der Flüssigkeit pro Zeiteinheit auf und bei Abweichungen vom Sollwert weist er den Schrittmotor an, schneller oder langsamer zu arbeiten.«
Ohne Computer geht nichts
Diese Erklärung vermittelt den Eindruck: Ohne Computersteuerung können die Stoffwechsel-Untersuchungen überhaupt nicht durchgeführt werden. Franz M. Zwiebel bestätigt: »Vorher wurden die Werte gemessen, Abweichungen sowie die notwendigen Neueinstellungen des Schrittmotors wurden mit Papier und Bleistift errechnet. Es war schon eine Revolution, als dafür ein Taschenrechner hergenommen werden konnte. Aber trotzdem, ehe man addiert, subtrahiert, dividiert, multipliziert und dann den Motor neu reguliert hatte, war oftmals schon zu viel Zeit vergangen. Eine Reihe von Untersuchungen brauchten erst gar nicht ausgewertet zu werden — die Arbeiten waren aufgrund der zu langen Verzögerungen wertlos.«
In einem anderen Labor läuft gerade ein Versuch mit einer Ratten-Leber. Auch hier wieder der bekannte Versuchsaufbau: Computer Schrittmotor, künstlicher Kreislauf. Mit höchster Aufmerksamkeit perfundiert die medizinisch-technische Assistentin Ursula Schwabe das Tier-Organ; das heißt in genau ausgeklügelten Zeitabständen spritzt sie Hormone ein.
Hier im Institut für Physiologische Chemie werden Grundlagen des Stoffwechsels erforscht. Sie sind Voraussetzung für weitere medizinische Forschungsprojekte. Es kann oft Jahre dauern, bis ein Patient von diesen Erkenntnissen profitiert.
Einer ist zu wenig
Ein Computer ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein — nach diesem Motto schafften sich die Münchner gleich eine ganze Handvoll dieser Helfer für ihre Abteilung an. Alle gehören der Großfamilie Commodore an: zwei VC 20, ein C 64, ein 64 SX und ein cbm 8032. Auf den Geschmack ist man vor drei Jahren gekommen — kurz nach dem Erscheinen des VC 20 auf dem deutschen Markt wurde er gekauft. Die Ausstattung war damals sehr mager: 5 KByte Arbeitsspeicher. Erst ein Jahr später gab es dann das dringend notwendige Zubehör: Speichererweiterung, Drucker, Laufwerke. Die Software schrieb Franz M. Zwiebel zum großen Teil selbst. Die Computer bewährten sich schnell. Ein Commodore kann nicht nur einen (künstlichen) Kreislauf zuverlässig regulieren, sondern er ist auch ein vortrefflicher »Rechenkünstler« und geduldiger Datenschlucker. Denn zur Auswertung der Daten, die bei den oftmals sehr langfristig angelegten Versuchen anfallen, wird er ebenfalls herangezogen.
Franz M. Zwiebel schildert einen typischen Versuch: »Bei Untersuchungen von schnellen Transportvorgängen über die Zellmembran werden die Rohdaten wesentlich durch drei Faktoren mitbestimmt. Da ist die Größe des Gefäßraums und dessen Verzweigungen zu nennen sowie die Anzahl der Zellen. Wir brauchen aber unbedingt »saubere« Werte, die auch auf andere als die untersuchten Organe übertragbar sind. Es nützt nichts, zu wissen, wie schnellzum Beispiel Milchsäure im Stoffwechsel einer Versuchs-Leber verarbeitet wird, wenn man nicht gleichzeitig Angaben über den Gefäßraum und die übrigen beiden Faktoren machen kann. Deshalb geben wir bei jedem Versuch sogenannte Markierungstoffe in das zu untersuchende Organ, die entsprechende Rückschlüsse zulassen. Eine Substanz zur Markierung des Leber-Gefäßraums ist Zucker, im medizinischen Sprachgerauch Saccharose. Dieser Stoff geht nicht in die Zellen, nur in den Gefäß-Raum. Als Markierung für die Anzahl und Größe der Zellen nehmen wir Harnstoff. Er dringt in die ganze Leber ein. Die Werte für die interessierende Substanz, Milchsäure liegen zwischen den Werten für Saccharose und Harnstoff. Die Interpretation, wie schnell die Milchsäure in der Leber verarbeitet wird, können wir nur in Relation zu diesen Markierungsdaten vornehmen.«
Der Datenanfall pro Versuch ist enorm: bis zu 6000 Daten müssen in einigen Fällen verrechnet werden. Mit den Mikros lassen sich die notwendigen Umrechnungen der Rohdaten und die grafische Darstellung vornehmen. Werden umfangreichere Matrizen- oder Vektorrechnungen gefordert, ist der Commodore nicht mehr zuständig — dann läßt Franz M. Zwiebel die Daten auf dem Großrechner im Leibnitz-Rechenzentrum auswerten. Doch auch dann braucht er einen der Kleincomputer: Der Datentransfer geht über Lochstreifen oder Modem an das Rechenzentrum.
Auch bei der Ausbildung hilft der Computer
Regulation des künstlichen Kreislaufs während eines Versuchs, Auswertung der Daten nach dem Experiment — das sind längst nicht alle Einsatzgebiete der fünf Commodore-Computer. Franz M. Zwiebel verlangt noch ein bißchen mehr: So hat er Berichte- und sonstige Texte auf der Diskette abgespeichert. Die Schreibmaschine als »Textverarbeitungssystem« hat längst ausgedient.
Die Ausbildung von Studenten ist eine weitere Aufgabe, die zum Arbeitsalltag des eifrigen Münchner Forscherteams gehört. Und auch hier hat Franz M. Zwiebel ein sinnvolles Einsatzgebiet für seine Computer gefunden. Bei der Organisation des Unterrichts, der Vorbereitung und Auswertung von Prüfungsaufgaben hilft ihm ebenfalls die Commodore-Familie.
Wunschlos glücklich ist Franz M. Zwiebel aber noch nicht. Er »bastelt« an einer Vernetzung der Computer. Die Materie ist ihm inzwischen hinreichend vertraut — wer sich beruflich so viel mit Mikrocomputern beschäftigt will »der Sache auch auf den Grund gehen«. »Denn alles wird einfacher« prophezeit Franz M. Zwiebel, »wenn der VC 20 und der C 64 auf dieselben Datenbestände zugreifen können«.
(kg)